
Anselm Kiefer, Die Sternennacht, 2019. Stedelijk Museum Amsterdam. Foto: Siegfried Lautenbacher
Papst Leo XIV. hat in seiner Weihnachtsbotschaft etwas Ungewöhnliches getan: Er zitierte von der Petersloggia einen jüdischen Dichter. Jehuda Amichai, geboren 1924 in Würzburg als Ludwig Pfeuffer, 1936 nach Palästina emigriert, 1946 den Namen geändert in „Amichai" – „Mein Volk lebt". Trotz des Holocaust, wie Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung anmerkt. Ein Name, der Trotz ist, nicht Illusion.
Das Gedicht heißt „Wildpeace". Wildfrieden.
„Nicht der Friede eines Waffenstillstands, nicht einmal die Vision vom Wolf und dem Lamm, sondern eher wie im Herzen, wenn die Aufregung vorbei ist und man nur von einer großen Müdigkeit sprechen kann. [...] Lass ihn kommen wie Wildblumen, unversehens, denn das Feld braucht ihn: Wildfrieden."
— Zitiert nach Papst Leo XIV., Urbi et Orbi, 25. Dezember 2025, und Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung
Das vollständige Gedicht enthält Zeilen, die noch härter sind: Der Sprecher weiß, dass er zu töten weiß – das mache ihn erwachsen. Sein Sohn spielt mit einer Spielzeugpistole. Und: „Eine kleine Ruhe für die Wunden – wer spricht von Heilung?" Das Heulen der Waisen werde von Generation zu Generation weitergereicht wie ein Staffelstab. Der Stab falle nie.
(Das englische Original ist auf der Poetry Foundation zugänglich.)
Seibt hat es gut eingeordnet: Dieser Frieden kommt nicht aus Verhandlungen, nicht aus Prophetie, „nicht einmal aus dem Lärm, mit dem Schwerter zu Pflugscharen geschmiedet werden". Er kommt aus dem erschöpften Herzen.
Aber es ist keine Resignation. Amichai verspricht keine Heilung. So naiv ist er nicht. Das Heulen der Waisen geht weiter, weitergereicht wie ein Staffelstab. Der Stab fällt nie.
Und trotzdem: Lass ihn kommen. Denn das Feld braucht ihn.
Das ist kein Optimismus. Es ist etwas, das schwerer zu benennen ist. Eine Weigerung, mit dem Hoffen aufzuhören – nicht weil die Lage gut aussieht, sondern weil das Feld braucht, was es braucht.
Alfred Adler sprach vom „Gemeinschaftsgefühl" als fundamentaler menschlicher Fähigkeit – nicht als Ideal, das wir anstreben, sondern als etwas, das da ist, wenn wir aufhören, dagegen zu arbeiten.
Bei Amichai funktioniert der Wildfrieden ähnlich: Er wird nicht hergestellt. Er wächst, „unversehens, denn das Feld braucht ihn". Nicht weil jemand einen Plan hatte, sondern weil die Erschöpfung dem Kämpfen ein Ende setzt.