Im Treppenhaus des Kunstmuseum Basel, im obersten Stock, hängt Ferdinand Hodlers „Blick ins Unendliche". Fünf Frauen, aufrecht, die Arme leicht geöffnet, empfangend. 1916 gemalt, mitten im Krieg, als Geste der Hoffnung oder der Sehnsucht – je nachdem, wie man es lesen will. Davor sitzt ein junger Mann. Zusammengesunken, Beine ausgestreckt, den Kopf gesenkt. Sein Blick geht auf den Bildschirm in seiner Hand.

Basel. Dezember 2025. Kunstmuseum
Ich habe eine Weile gewartet, bis die Konstellation stimmte. Es war kein inszenierter Moment – der Mann saß schon dort, als ich den Raum betrat. Er hat das Bild vermutlich nicht einmal wahrgenommen. Vielleicht wartet er auf jemanden. Vielleicht ruht er sich aus. Vielleicht hat er das Museum schon durch und scrollt jetzt durch die Fotos, die er gemacht hat. Was mich interessiert, ist die Körperhaltung. Hodlers Frauen öffnen sich nach oben und außen, dem Unendlichen entgegen. Der Mann schließt sich nach unten und innen – zur 5x10 cm Unendlichkeit seines Screens.
In der Kusama-Retrospektive der Fondation Beyeler hängt „Pacific Ocean" – eines ihrer Infinity Net Paintings. Die Leinwand vibriert, das Muster drängt über jeden Rand hinaus. Kusama hat ihr Leben damit verbracht, das Unendliche zu malen: Netze, Punkte, Wiederholungen ohne Ende. Davor steht ein Mann, den Rücken zum Bild, das Gesicht zur Ecke. Er telefoniert.

Riehen. Dezember 2025. Fondation Beyeler
Das Museum wird zur Telefonzelle. Die Kunst wartet. Sie ist geduldig, sie hat Zeit. Er vermutlich nicht.
Auf der Kleinbasler Seite, im Tinguely Museum. Ich schaue aus dem Fenster auf den Rhein. Eine Frau steigt aus dem Wasser – Eisbaden im Dezember. Sie trocknet sich ab, greift zum Handy, macht ein Selfie.

Basel. Dezember 2025. Durch Glas
Das Bild ist durch das strukturierte Glas fotografiert, mit dem iPhone, in Farbe – nicht mein üblicher Modus. Aber die Situation verlangte danach: diese Schichten zwischen mir und ihr, das Malerische, das Diffuse. Fast wie bei Saul Leiter.
Was mich beschäftigt: Der Moment des Eisbadens ist intensiv, körperlich, gegenwärtig. Kälte, Atem, Herzschlag. Und dann – sofort – die Übersetzung ins Digitale. Als würde die Erfahrung erst durch das Bild real. Oder vielleicht: erst durchs Teilen.
Nicht weit davon, am Rheinufer: eine Frau auf einer Bank. Sie sitzt einfach da. Schaut aufs Wasser, auf das Münster, auf die Möwen, die ein verdrecktes Boot besetzt haben.

Basel. Dezember 2025. Am Ufer
Kein Handy. Keine Kamera. Kein Selfie. Einfach Anwesenheit. Vielleicht ist sie die einzige an diesem Tag, die tatsächlich ins Unendliche schaut.